this post was submitted on 07 Sep 2023
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Liberaldemokratische Werte schützen leider nicht vor Unterdrückern und Despoten von außen. Idealismus ist in der Verteidigung fehl am Platz und zwar ganz besonders deswegen, weil da wieder spieltheoretische Dynamiken und Kaskaden am Werk sind: Für jeden, der die Flucht ergreift, sinkt die Kampfkraft, was die Flucht attraktiver macht. Eine auch nach außen wehrhafte Demokratie braucht daher eine Wehrpflicht, wenn sich nicht genug freiwillige Rekruten findet.
Jetzt könnte man natürlich sagen, als Individuum kann man immer in die nächste offene Gesellschaft fliehen. Das externalisiert aber die eigene Verantwortung und funktioniert nur eine begrenzte Zeit. Linke, Liberale, Demokraten haben also die Pflicht, die eigene Souveränität zu schützen, auch wenn sie sich dieser Verantwortung entziehen wollen.
Meiner Meinung nach sollte es weder Wehrpflicht noch Außen geben. Und auch hier: Was heißt genug? Glaubst du ernsthaft, dass Viktor Orban oder Wladimir Putin morgen vor der Tür ständen, wenn wir auf eiben Schlag 10% weniger Soldaten und keine Wehrpflicht mehr hätten? Die Spieltheorie ist da weitaus komplexer als du es darstellst und ist keineswegs Berechtigung für die Wehrpflicht.
In den 90ern hat Fukuyama das Ende der Geschichte ausgerufen und zwar als Folge der zusammengebrochenen Sovietunion. Sah ja auch ^[bis auf den globalen Amoklauf der US-Amerikaner nach dem 11.9.] alles vielversprechend aus. Und dann kam 2014. Stellt sich heraus, dass die Sovietunion gar nicht weg ist, sondern die ganze Zeit im Schatten gelauert hat. Dass es noch mal Krieg in Europa geben würde, galt trotzdem als ausgeschlossen - bis 2022.
Deine Gewissheit, dass Putin hier nicht anklopfen wird, teile ich jedenfalls nicht. Und selbst, wenn man sich darauf ausruhen möchte, dass es unwahrscheinlich ist, muss man sich der Eventualität stellen, statt das Glück herauszufordern. Bedenke auch, dass Uncle Sam wahrscheinlich nicht mehr da ist, um dir das Händchen zu halten, wenn es so weit ist.
Dass Russland insgeheim noch die Sowietunion ist, ist aber Blödsinn. Fukuyama hat im Grunde behauptet, dass nach dem Fall des Kommunismus nur noch (friedlicher) neoliberaler Wettbewerb existieren wird, und alle Konflikte, zumindest globalpolitisch, somit aufgeräumt werden.
Dein Einwand ist berechtigt und in der Sache richtig, geht aber am Argument vorbei: Die Russische Föderation sieht und verhält sich in der Nachfolge der Sowjetunion, erhebt wiederholt Ansprüche auf vormalige Gebiete der Sowjetunion und setzt diese einseitig erhobenen Ansprüche mit bewaffneten Besetzungen dieser Gebiete (= imperialistischen Kriegen) durch. Sie verfügt ebenso über ein atomates Arsenal.
Ungeachtet des makroökonomischen Hintergrunds von Fukuyamas Aussage gelten für vom Angriff durch die Russische Föderation bedrohte Staaten also dieselben spieltheoretischen Regeln wie jene, die zum Kalten Krieg für Nicht-Sowjet-Staaten galten. Das Argument hast du mit deinem Beitrag nicht entkräftet.