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submitted 5 months ago by littlebifi@lemmy.world to c/dach@feddit.de

Bis zum Jahr 2000 verließen im Saldo etwa 611 000 Personen den Osten in Richtung West­deutschland. In den folgenden zehn Jahren bis 2010 wanderten im Saldo noch rund 553 000 Menschen von Ost nach West.

Quelle: https://www.destatis.de/DE/Themen/Querschnitt/Demografischer-Wandel/Aspekte/demografie-bevoelkerungsentwicklung-ost-west.html

Immer wenn vom Rechtsruck in Ostdeutschland gesprochen wird, geht mir dieser Gedanke um: Sind zu viele der weltoffenen Mitbürger gen Westen abgewandert?

Zu mir:

Ich bin selbst Teil dieser Auswanderer. Für mich ging es dabei allerdings weniger um wirtschaftliches Glück, als die Liebe und Abstand von meiner "lieben Familie". Und trotzdem fühle ich mich mitschuldig. Hätte ich einen Rostocker statt Badener kennen gelernt, würde ich dort dann gegen rechts kämpfen?!

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[-] cjk@feddit.de 20 points 5 months ago* (last edited 5 months ago)

Dazu möchte ich mich äussern. Vorweg: ich will kein Mitleid und kein "boah, toll gemacht".

Mein Vater ist ein Nazi und Fascho. War er immer schon, es ist allerdings über die Jahre schlimmer geworden.

Er hat mir natürlich sein Weltbild anerzogen. Ich war nie ein "vergast die Ausländer"-Nazi, aber ich hatte schon ein Problem mit Ausländern, mit Feminismus und vielen anderen progressiven Themen. Ich habe viele Rassismen und Vorurteile internalisiert, oft auch ohne mir darüber bewusst zu sein. Und das, obwohl ich natürlich als im Westen lebender Gymnasiast und später Student durchaus immer wieder progressiven Themen ausgesetzt war. Zwar auf dem Land, aber halt trotzdem Bildungsbürgertum.

Aber bis Mitte 20 habe ich das halt auch nicht wirklich hinterfragt. Erst da habe ich damit angefangen. Und nach und nach, Stückchen für Stückchen, hat das angefangen zu bröckeln. Es hat Jahre gedauert, mich davon freizumachen. Ein Schlüsselerlebnis hatte ich in der Schweiz, dort habe ich Rassismus am eigenen Leib erfahren, und da habe ich überhaupt erstmal verstanden, was Rassismus eigentlich ist, und das hat mir dann den Anstoss gegeben mich näher mit dem Thema zu beschäftigen.

Heute bin ich ziemlich links, mein Alter würde mich als linksradikal bezeichnen. Am 1. Januar 2023 hab ich den Kontakt zu ihm abgebrochen.

Was ich damit sagen will: na klar ist das möglich, sich von rechter Erziehung freizumachen. Aber das ist fucking schwer. Ich stamme aus einer bildungsbürgerlichen Beamtenfamilie (meine Elten sind beide Lehrer, mein Vater kommt vom Hof, meine Mutter kommt aus einer Beamtenfamilie), die Familie mütterlicherseits hatte immer schon Probleme mit meinem Vater. Und trotzdem hat es so lange gedauert.

Meine Eltern waren ausgesprochen autoritär, ich hab von meinem Alten regelmäßig mit einer Weidenrute oder einem Knüppel Prügel bezogen. Meine Mutter hat sich da auch nicht zurück gehalten, die hat immer einen Kleiderbügel benutzt.

Da kommt man nicht auf die Idee, irgendwas zu hinterfragen. Egal, wie oft man gegenteiligem ausgesetzt wird. Und das gar nicht mal aus Angst, sondern weil man es einfach gewohnt ist hinzunehmen, was die Eltern einem sagen.

Allerdings kann man Menschen auch nicht aus ihrer Verantwortung entbinden. Natürlich war ich immer für mich selbst verantwortlich.

Aber ich kann mir auch vorstellen, dass für viele zu viel Eigenleistung notwendig ist, als dass sie das schaffen können.

Und ich hab echt keine Ahnung, wie man das Problem lösen kann.

Edit: meh. Jetzt hab ich ein bisschen ein schlechtes Gefühl, diesen Striptease hingelegt zu haben. Ich lass es trotzdem stehen.

[-] Elektrotechnik@feddit.de 4 points 5 months ago

Ich hab den Beitrag gern gelesen, danke dafür :-)

[-] cjk@feddit.de 3 points 5 months ago

danke für die freundliche Rückmeldung :-)

[-] littlebifi@lemmy.world 3 points 5 months ago

Gratulation zur Abnabelung, dem Ausstieg und dem Kontaktabbruch. Du kannst sehr stolz auf dich sein! Ich bin es auf jeden Fall! clap

[-] cjk@feddit.de 2 points 5 months ago
this post was submitted on 28 Jan 2024
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