this post was submitted on 13 Oct 2023
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Die Gräueltaten der Hamas sind durch nichts zu rechtfertigen. Dass es dazu kommen konnte, sagt Bestsellerautor Yuval Noah Harari, liege allerdings an der jahrelangen Hybris Israels – und an Premierminister Benjamin Netanjahu, der wiederholt seine persönlichen Interessen über die des Staates gestellt habe.

Wir Israelis tun uns schwer damit, zu begreifen, was uns gerade widerfahren ist. Zunächst haben wir die Katastrophe mit dem Jom-Kippur-Krieg von 1973 verglichen. Vor fünfzig Jahren starteten die Armeen Ägyptens und Syriens einen Überraschungsangriff und fügten Israel eine Reihe von militärischen Niederlagen zu, ehe sich unsere Verteidigungskräfte neu formierten, die Initiative zurückgewannen und schließlich siegten.

Doch während immer mehr entsetzliche Geschichten und Bilder über das Massaker an ganzen Gemeinden auftauchen, dämmert uns, dass das, was geschehen ist, nichts mit dem Jom-Kippur-Krieg gemein hat. In den Zeitungen, in den sozialen Medien und bei Familientreffen werden Vergleiche zu den dunkelsten Stunden des jüdischen Volkes gezogen; zu jenen Zeiten, als mobile Tötungseinheiten der Nazi-Einsatzgruppen während des Holocausts jüdische Dorfbewohner zusammentrieben und ermordeten und als im Russischen Zarenreich Juden Pogromen ausgesetzt waren.

[...]

Angriff der Hamas auf Israel und die Folgen: Wie konnte das passieren?

Meine Tante und mein Onkel sind robuste, "toughe" Menschen – sie wurden zwischen den Weltkriegen in Osteuropa geboren und haben bereits eine Welt im Holocaust verloren. Wir sind aufgewachsen mit Geschichten über wehrlose Juden, die sich vor den Nazi-Schergen in Schränken und Kellern versteckten, ohne dass ihnen jemand zu Hilfe kam. Der Staat Israel wurde gegründet, um zu gewährleisten, dass sich so etwas nie wiederholen würde.

Und nun fragen wir uns: Wie konnte das passieren? Warum war der Staat Israel nicht ausreichend vorbereitet?

Die Israelis zahlen den Preis für jahrelange Hybris, in der unsere Regierungen und viele einfache Israelis glaubten, wir seien so viel stärker als die Palästinenser, dass wir sie einfach ignorieren könnten. Es gibt jede Menge zu kritisieren an der Art und Weise, wie Israel den Versuch, mit den Palästinensern Frieden zu schließen, einfach aufgegeben hat und seit Jahrzehnten Millionen von Palästinensern unter Besatzung hält.

[...]

Die wahre Erklärung für Israels Fehlfunktion ist Populismus

Aber das rechtfertigt nicht die Gräueltaten der Hamas, die ohnehin nie die Möglichkeit eines Friedensvertrags mit Israel in Betracht gezogen und – im Gegenteil – alles daran gesetzt hat, den Osloer Friedensprozess zu sabotieren. Jeder, der Frieden will, muss die Hamas verurteilen und mit Sanktionen belegen und die sofortige Freilassung aller Geiseln sowie die vollständige Entwaffnung der Hamas fordern.

Aber unabhängig davon, wie viel Schuld man Israel zuschreibt, erklärt dies nicht die Dysfunktion des Staates. Geschichte ist keine Moralerzählung. Die wahre Erklärung für Israels Fehlfunktion ist Populismus und nicht irgendeine angebliche Unmoral. Seit vielen Jahren wird das Land von Benjamin Netanjahu regiert, einem populistischen Machthaber, der ein Genie in Sachen PR-Arbeit, aber ein unfähiger Premierminister ist. Er hat wiederholt seine persönlichen Interessen über die nationalen gestellt und seine Karriere darauf aufgebaut, die Nation zu spalten. Er hat Menschen eher aufgrund ihrer Loyalität als aufgrund ihrer Qualifikationen in Schlüsselpositionen befördert; er hat sich jeden Erfolg auf die Fahnen geschrieben, während er für Niederlagen und Versäumnisse nie die Verantwortung übernahm. Es schien ihm weder wichtig, die Wahrheit zu sagen noch sie zu hören.

Die spalterische Politik der israelischen Regierung

Die Koalition, die Netanjahu im Dezember 2022 bildete, war bei weitem die schlechteste. Sie ist eine Allianz aus messianischen Eiferern und schamlosen Opportunisten, die die vielen Probleme Israels – einschließlich der sich verschlechternden Sicherheitslage – ignorieren und sich stattdessen darauf fokussieren, immer mehr Macht zu erlangen. Um dieses Ziel zu erreichen, verfolgten sie eine extrem spalterische Politik, verbreiteten haarsträubende Verschwörungstheorien über staatliche Institutionen, die sich ihrer Politik widersetzten, und bezeichneten die Eliten des Landes als Volksverräter, die angeblich einem "tiefen Staat" dienten.

Die Regierung wurde wiederholt von ihren eigenen Sicherheitskräften und von zahlreichen Experten gewarnt, ihre Politik gefährde das Land und untergrabe die israelische Abschreckung ausgerechnet in einer Zeit wachsender äußerer Bedrohungen. Doch als der Stabschef der IDF um ein Treffen mit Netanjahu bat, um ihn vor den sicherheitspolitischen Auswirkungen der Regierungspolitik zu warnen, lehnte der ab. Und als Verteidigungsminister Yoav Gallant dennoch weiter Alarm schlug, wurde er von Netanjahu entlassen. Gallant kehrte nur in sein Amt zurück, weil Netanjahu den öffentlichen Aufschrei unterschätzt hatte. Auch solche Verhaltensmuster, und zwar über viele Jahre hinweg, ermöglichten das Desaster vom vergangenen Wochenende.

Jenseits davon, was man von Israel und dem israelisch-palästinensischen Konflikt hält, sollte die Art und Weise, wie der Populismus den israelischen Staat zersetzt hat, anderen Demokratien auf der ganzen Welt als Warnung dienen.

[...]

In dieser Stunde der Not rufen wir unsere Freunde in der ganzen Welt auf, uns beizustehen. Es gibt viel zu kritisieren am Verhalten unseres Staates in der Vergangenheit. Die Vergangenheit lässt sich nicht ändern. Aber man kann daraus lernen und hoffen, dass die Israelis nach dem Sieg über die Hamas nicht nur unsere aktuelle Regierung zur Rechenschaft ziehen, sondern auch populistische Verschwörungserzählungen und messianische Fantasien aufgeben. Und sich ehrlich bemühen, Israels Gründungsideale von Demokratie im eigenen Land und Frieden mit den Nachbarn zu verwirklichen.

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[–] anti_paywall_bot@lemmy.lemist.de 1 points 10 months ago